Wie ich an Max gewachsen bin

9.07.2016

Ich fuhr Fahrrad. Es war ein sonniger Freitagnachmittag, die Arbeitswoche lag hinter mir, das Wochenende hielt seine Arme auf. Ich war allein. Warum eigentlich? Die Jungs gingen ihre eigenen Wege, der letzte "Richtige" hatte sein Versprechen nicht gehalten. Ein Hund wäre jetzt schön. Wie er mit erwartungsvollem Blick zu mir hinaufschauen würde, mir fröhlich am Fahrrad hinterher flitzen und dann bei einer Rast auf der Wiese den Ausblick in die Landschaft mit mir genießen könnte.  Wie er sich freuen würde, wenn ich sein warmes, weiches Fell kuschelte. Ja, ein Hund wäre schön.

Google sei Dank fand ich auch schnell den Weg in das nächstgelegene Tierheim. Dort angekommen, stellte ich meine Wünsche dar: nicht zu groß, nicht zu klein und soll am Fahrrad mitlaufen können.

Gehen Sie mal hinter. Lassen Sie sich den Max zeigen. Aber der hat gerade ein Bissverletzung.

So tauchte ich ein in eine Welt erwartungsvoller Augen, unruhigen Beäugens, zwanghaften Sich-zur-Schau-Stellens. Des Bellens, Schnürens, Springens, Kratzens, Sich-aufgegeben-habens. Alte, junge, große, kleine, einfarbige, bunte, welche die Erfahrung beim zukünftigen Halter erfordern, welche die umgänglich, scheu, bissig, familientauglich, ängstlich, krank sind…Abgegebene, eingewiesene, gefundene… Hunde.

Max. Der mittelgroße, schwarze, mit der Halskrause zum Schutz des angebissenen Vorderbeins. Abgabehund. Geboren ungefähr August 2012. Kann nicht allein zu Hause bleiben. Braucht viel körperliche und geistige Auslastung. Rasse: Mischling unklarer Genese. AHA. Klar musst du mich erst mal anbellen, als ich außen dein Gatter ansteuere. Aber ich nehme es nicht krumm, ich betrachte es als Willkommensgruß.

Hund aus dem Tierheim ins neue Zuhause
Angekommen

Nachdem ich dich 14 Tage lang besucht und ausgeführt habe, du dich wirklich von der allerliebsten "nimm-mich-bitte-mit- Seite" gezeigt hast, ist es soweit. Du steigst völlig problemlos in den Kofferraum meines Autos, Antje, meine Schwester ist mit dabei, um die Fahrt zu überwachen, und wir kommen 20 min später ohne Probleme zu Hause an. Du beschnüffelst erst mal dein neues Heim, knallst mal eben gegen die vollverglaste Balkontür, schüttelst den Kopf und merkst dir, dass du auf diese Weise hier nicht weiter kommst.

 

Während ich mit Antje noch einen Kaffee trinke, ignorierst du die für dich vorgesehene  Decke und steigst- hüpf- aufs Sofa, wo du dich einkugelst. Ok, dann darf er eben doch aufs Sofa, es ist ja groß genug. Können ja eine Decke drunter legen.

Als Antje gegangen ist strecke ich mich auch aufs Sofa aus, war ein anstrengender Tag; und da kommt so eine warme Hundeschnauze und legt sich auf meine Brust. Nur ein paar Minuten, aber voll des Glücks.

Braucht körperliche und geistige Auslastung. Klar, körperlich, gar kein Problem. Ich bin gerne draußen unterwegs, mithin passt das ja prima. Das bekommen wir hin.

Es hat nicht lange gedauert, da konnte ich dich mit auf Arbeit nehmen. Das war immer so eine 3/4 Stunde Weg, ganz verschiedenes Terrain. Da ein Baum. Pinkeln. Naja, ist eben ein Hund. Eine Wiese. Schnüffeln, pinkeln, was sonst noch so ansteht. Ein Hund eben. Eine Hauswand. Nein, hier wird nicht gepinkelt. Die nächste Wiese. Pinkeln, schnüffeln, ist eben ein Hund. Komm Max, jetzt gehen wir weiter. Noch mal pinkeln? Naja; los, jetzt komm aber. Komm!

Geistige Auslastung? Soll ich dem Hund erst mal die Grundrechenarten beibringen oder gehen wir gleich zur Kurvendiskussion über?

Ach, der Segen des Internets. Ich hatte ja 14 Tage Zeit, mich da ganz genau zu informieren. Grundkommandos, Unterordnung,  Apportiertraining, Such- und Schnüffelspiele, Hindernisparcours, Impulskontrolle, Tricks…Und du warst begeistert. Konntest gar nicht schnell genug lernen, gar nicht genug bekommen. Du warst spitze! Dir hing die Zunge bis zum Boden, aber du bist gerannt. Hast den Ball geholt, gebracht, abgegeben und gewartet, dass er wieder fliegt. Der Futterbeutel ist an deiner Nase vorbei geflogen, du hast gewartet, bis du loslaufen durftest, um ihn zu holen. Ach, du bist erst mal Umwege gelaufen, wenn ich das von dir verlangt habe, ehe du hin geflitzt bist. Aber kaputt habe ich dich nicht bekommen. Zuhause angekommen, hast du zwar Pause gemacht, aber bin ich an der Tür und der Leine vorbei gekommen, standest du Gewehr bei Fuß "...ich würde wieder mitkommen…"

Und es hat wunderbar geklappt, Rückruf war fast kein Thema, nur für andere Hunde hast du den völlig ignoriert. Das war aber nicht so schlimm, du bist mit allen prima klar gekommen. Du hast sogar immer wieder Lob erhalten, wenn du bei einem kranken Hund besonders rücksichtsvoll warst.

Leinenaggression, Leinenpöpelei
Leinenaggression; Bildquelle: Pixabay

Aber dann passierte es. Weihnachten 2013. Wir haben auf unserer Wiese so schön apportieren geübt. War alles so toll, wir beide waren so begeistert. Und dann kam da ein kleiner, weißer, angeleinter Hund. Du bist wie von der Tarantel gestochen hin, hast ihn geschüttelt. Ist zum Glück nichts passiert, nur die Nerven lagen blank. Von dem Tag an ging es bergab.

Anderer Hund in Sicht- Leine eng nehmen- Angstpegel steigt- Leinenpöbelei wird immer extremer. Verdammt, das kannten wir doch gar nicht? Zweite pubertäre Phase? Lass das! Ziehen und Zerren, der eine vorn, die andere hinten! Hundetrainer, Methodik sagt mir nicht zu. Selber weiter probiert. Langsam und zäh bekommen wir das wieder hin. Neuer Hundetrainer, ein paar AHA-Erlebnisse, es wird weiter besser.

Was ist also geschehen? Nein, es war mir nicht egal, was mein Hund macht. Ich habe mich sehr bemüht, ihm gerecht zu werden. Verdammt, ich habe es übertrieben. Das Arbeiten und das Chillen.

Der Hund war schon total überreizt, als er den kleinen als Ventil benutzt hat. Außer bei unseren Übungseinheiten hat er keine klaren Ansagen von mir bekommen, welche Regeln zu gelten haben. Er hat aus meiner Art der Leinenführung genau das gemacht, was ich ihm angeboten habe. Ich habe meinen Hund nicht verstanden.  Und von dem Moment an, als ich ein Problem sah, hatten wir eines.

Bin ich deshalb ein schlechter Hundeführer? In vielen Situationen, einzeln betrachtet, war ich das für das Gegenüber. Hat dieses Gegenüber unsere Geschichte gekannt, die Bemühungen gesehen, die uns an genau diese Stelle gebracht haben, vorwärts wie rückwärts?

Ist mein Hund ein Aggressivo, eine Misttöle? In manchem Moment war es für das Gegenüber so. Hat mein Hund, habe ich diese Pauschalisierung verdient? Ich meine nicht. Denn wir haben uns beide entwickelt. Wir haben beide immer wieder versucht, der Situation Herr bzw. Frau zu werden. Wir haben beide nicht aufgehört, zu lernen.  Es war, es ist ein steiniger Weg der Erkenntnis. Er wurde besonders steinig durch falsche und überhöhte  Erwartungen.

Einen Satz Erwartung habe ich gerade jetzt erst über Bord geworfen: dass ich einen 100% impulskontrollierten Hund formen muss. Der Anstoß dazu war ein Satz, den ich gehört habe:  "Man hat 5 Jahre einen jungen Hund, 5 Jahre einen guten Hund und 5 Jahre einen alten Hund. " Max wird dieses Jahr 4. Wie entspannend.

Entspannung, Hund, Aktivität
Gemeinsam entspannt Spaß haben

Und im Ergebnis dessen sind wir nun: ein Hund, der im Wesentlichen freundlich zu anderen Hunden ist, wenn beide ohne Leine laufen können. Ein Hund, der an der Leine bei Hundebegegnungen noch immer etwas angespannter ist, als nötig. Ein Hund, der aufmerksam, entspannt aber auch wachsam ist (Danke dir dafür!) Und eine Halterin, die versucht, durchzuatmen, wenn eine schwierige Situation im Anmarsch ist. Die Ihrem Hund vertraut, dass er es richtig machen kann. Die wohl ein vernünftiges Maß Übung, Spiel, Kuscheln, Reden, Loben, Korrigieren, Chillen und Gewähren lassen gefunden hat. Die akzeptiert, dass ein Hund auch mal einen schlechten Tag haben kann, und den einen Menschen oder den anderen Hund nicht riechen kann. (Da sind diese Wunderwerke deutlich sicherer in der Beurteilung und ehrlicher im Umgang damit als jeder Mensch! Auch das gilt es zu begreifen und zu akzeptieren. Ich versuche mich nicht mehr zu schämen, wenn mein Hund mal jemanden anknurrt. Er wird schon wissen, warum.)

 

So wuchs ich an meinem Hund. Ich bin mit Sicherheit noch nicht fertig, aber wer wird das je sein.

Und nun? Warum dieser Exhibitionismus?

 

Ich appelliere an alle Neuhundehalter, sich im Maßhalten zu üben. Sich genau über die Körpersprache des Hundes zu informieren. Geduldig zu sein. Lieber auf morgen zu verschieben, als heute zu übertreiben. Ihren Hund kennen zu lernen. Genau hinzuschauen, was er braucht- oder auch nicht. Ihrem Hund GERECHT zu werden. (Hier ein Link zu einer ausführlichen guten Beschreibung körperlicher Signale eines Hundes: http://www.spass-mit-hund.de/mehr-wissen/beschwichtigungssignale-calming-signals/ )

 

Ich appelliere an alle Hundehalter, nicht sofort zu verurteilen, zu verteufeln, wenn mal etwas nicht nach Plan verläuft mit anderen Hund/Mensch Teams. - Nachsicht üben wäre toll! Sind nicht alles unrettbare Versager. Ich habe nie eine Steinigung von außen gebraucht, glaubt mir, ich war da regelmäßig schneller vor lauter Fassungslosigkeit und Enttäuschung über mein offensichtliches Versagen, wenn Max mal wieder über die Stränge geschlagen hat.

 

Und vor allem wäre es schön, wenn deren Weg respektiert würde, und die Stelle, an der sie sich in ihrer Entwicklung gerade befinden. Jeder geht seinen ganz eigenen Weg und im eigenen Tempo, so, wie es zu ihm passt. Kann beim nächsten Hund alles ganz anders sein. Und trotzdem richtig. Oder genauso falsch.

 

Keine Ahnung? Stimmt. Aber so wie heute, so für immer und alle Ewigkeit? Bestimmt nicht. Gebt den Anfängern eine Chance, morgen besser zu sein. Jeder hat die mal gebraucht. Und hat jeder, der heute für alle anderen weiß, wie es zu gehen hat, beim ersten Mal wirklich ganz genau gewusst, was alles passieren kann, wenn man sich auf das Abenteuer Hund einlässt? Ganz ehrlich?

 

Vielleicht lächelt ihr das nächste Mal, wenn so ein Leinenaggro euch entgegenkommt, den beiden- Hund und Halter- zu und gebt ihnen damit das Gefühl, dass auch das irgendwie normal ist und bestimmt irgendwann vorbei geht. Das entspannt alle Beteiligten. Wetten? 

den Hund verstehen lernen Hundesprachhe, Körpersprache hund
Verstehst du mich?

Ich appelliere an alle Tierheime und Züchter, genauer hinzusehen, wem sie welchen Hund geben. So einem absoluten Laien wie mir hätten sie Max, den Eigenbrötler, den zur - Not - eben - mal - ganz - schnell - Selbstentscheider, nicht anvertrauen dürfen; dann wäre ihm viel Stress erspart geblieben. Zum Glück habe ich den Bogen noch gekriegt.

Im Idealfall sollte der zukünftige Hundehalter vorher einen Hundeführerschein / Sachkundenachweis machen müssen. So richtig mit Kennenlernen von Körpersprache, Trainingsaufbau und rassespezifischen Besonderheiten. Und mit Wesenstest des Halters. Wenn man sich dann noch der Aufgabe stellen will, dann hat man sich den Freund an seiner Seite auch verdient.

Dieses wunderbare Wesen. Das einen zu einem besseren Menschen macht. Einen tollen Hund.

Diese Betrachtung ist mein Plädoyer für Rücksichtnahme und Großzügigkeit. Jeder Hundehalter war einmal ein Anfänger!


Und meine Liebeserklärung an meinen Lehrmeister. Max.

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