Wenn der Untergrund zählt – was Gelenke und Wirbelsäule beim Hund wirklich belastet

Einleitung

Als ich mich einmal mit meinem Hund Max verlaufen hatte, wählte ich eine scheinbar harmlose Abkürzung über ein frisch gepflügtes Feld. Der Boden war weich, uneben, klebrig – und ich war froh, als wir wieder festen Grund unter Füßen und Pfoten hatten.

Am Abend humpelte Max deutlich. Das war der Moment, in dem mir wieder bewusst wurde, wie stark der Untergrund die Belastung der Gelenke und der Wirbelsäule beeinflusst. Auch wir kennen das: Schaufensterbummeln auf hartem Asphalt kann trotz langsamen Tempos zu Rückenschmerzen führen.

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Die Wissenschaft dahinter – was Studien zeigen

Die wohl bekannteste Bewegungsanalyse des Hundes stammt von Prof. Martin S. Fischer und seinem Team an der Universität Jena. In der Studie „Hunde in Bewegung“ wurden über 300 Hunde mit Hochgeschwindigkeitskameras und Röntgentechnik untersucht. Ergebnis: hochkomplexe und effiziente Koordination von Wirbelsäule, Schultergürtel und Hinterhand – kleinste Veränderungen im Untergrund oder der Gangart beeinflussen die gesamte Mechanik.

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Harter Untergrund – Effizienz mit Risiko

Fester Boden wie Asphalt oder Beton ermöglicht eine energetisch effiziente Fortbewegung. Die gelenksnahen Strukturen – Sehnen, Bänder und Faszien – speichern beim Trab elastische Energie und geben sie im nächsten Schritt wieder frei.

Allerdings: Je härter der Boden, desto stärker wirken Stoßkräfte auf die Gelenke. Das begünstigt Beschwerden bei Arthrosen, Verspannungen der Rückenmuskulatur und Mehrbelastungen der Facettengelenke der Wirbelsäule.

Therapeutischer Tipp:
Asphalt nicht zum Hauptanteil machen; Schritt ist günstiger als flotter Trab. Nach kurzen Asphaltstrecken auf natürlichen Boden wechseln.

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Weicher Untergrund – dämpfend, aber fordernd

Waldboden, Wiese oder festgetretener Erdboden wirken dämpfend und verteilen Stoßenergie gleichmäßiger – Gelenke, Sehnen und Bandscheiben werden entlastet.

Gleichzeitig muss der Hund mehr Muskelarbeit leisten, um sich abzustoßen und sein Gleichgewicht stabil zu halten. Das erhöht den Energieverbrauch und trainiert Kraft wie Koordination.

Therapeutischer Tipp:
Ideal bei Gelenkerkrankungen oder zum Muskelaufbau nach Operationen. Ruhige, gleichmäßige Bewegung im Schritt; nach Pausen zunächst kurz und mit wenig Unebenheiten.

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Sand und Acker – instabil und energieintensiv

Tiefe oder lockere Böden wie Sand oder frisch gepflügtes Feld sind biomechanisch anspruchsvoll. Die Pfote sinkt ein, die Stützfläche ist instabil, der Hund verliert Rebound-Energie.

Was bedeutet Rebound-Energie?
Rebound-Energie ist die elastische Rückstellkraft, die entsteht, wenn Muskeln, Sehnen und Bänder beim Aufsetzen gestaucht werden und anschließend wieder in ihre Ausgangslänge zurückschnellen. Auf festem Boden wird diese Energie gut gespeichert und wieder abgegeben – auf tiefem, nachgiebigem Boden geht sie verloren; der Hund braucht mehr aktive Muskelkraft, um denselben Vortrieb zu erreichen.

Das steigert den Energieverbrauch und fordert zusätzlich das propriozeptive System.

Was bedeutet propriozeptiv?
Propriozeption ist die Fähigkeit, eigene Stellung und Bewegung im Raum wahrzunehmen. Sensoren in Muskeln, Sehnen, Gelenken und Haut melden Belastung und Gelenkstellung. So hält der Hund sein Gleichgewicht – auch auf unebenem Boden.
Therapeutischer Tipp:
Sand/ackerige Böden nur kurz; ungeeignet bei Spondylosen, Bandscheibenproblemen und in der frühen Phase nach Kreuzband-Operation. Für gesunde Sporthunde als Stabilitätsreiz sinnvoll.

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Schritt oder Trab – welche Gangart wann?

Schritt: längere Bodenkontaktzeit, geringere Stoßspitzen, Rumpf stabil – ideal in der Rehabilitation oder für Seniorinnen und Senioren.

Trab: Sehnen und Bänder arbeiten federnd, Energie wird effizient gespeichert und wieder abgegeben; Belastungsspitzen steigen – geeignet in Aufbauphasen bei gesunden Hunden.

Ein gleichmäßiger Trab auf weichem, ebenem Boden ist energetisch sehr effizient – sofern keine orthopädischen Einschränkungen vorliegen.

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Leine oder Freilauf – kleine Ursache, große Wirkung

Führen am Halsband kann Schrittlänge und Kopfhaltung einschränken und die Kräfte in Schultergürtel und Wirbelsäule verändern. Bei dauerhaftem Leinenzug entstehen leicht asymmetrische Belastungen. Im Freilauf findet der Hund meist sein ökonomisches Tempo und einen natürlichen Rhythmus.

Therapeutischer Tipp:
Breites, gut sitzendes Geschirr statt Halsband bei Zugtendenz; lange Leine (3–5 m) erlaubt natürliche Bewegung; Freilauf nutzen, wenn es sicher möglich ist.

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Therapeutische Zusammenfassung

Arthrose
Untergrund: fester, griffiger Waldboden
Gangart: Schritt
Hinweis: Asphalt nur kurz, Tempo gleichmäßig halten.
Spondylosen / Bandscheibenprobleme
Untergrund: eben, griffig, nicht rutschig
Gangart: Schritt
Hinweis: Keine abrupten Richtungswechsel, Leine locker, kein tiefer Sand.
Kreuzband (postoperativ)
Untergrund: Waldboden, später dosiert Sand
Gangart: Schritt → kurzer, gerader Trab
Hinweis: Steigerung erst nach Muskelaufbau, Tempo konstant.
Vordergliedmaßen / Ellbogen
Untergrund: weicher, griffiger Boden
Gangart: Schritt
Hinweis: Harte Böden vermeiden; gerade Linien, gute Aufwärmung.
Sporthund-Training
Untergrund: Gras / Erde, variabel
Gangart: überwiegend Trab
Hinweis: Untergrund prüfen und wechseln; tiefer Sand nur dosiert.
Senioren / Übergewicht
Untergrund: Waldboden, Wiese
Gangart: kontinuierlicher Schritt
Hinweis: Regelmäßige, kurze Einheiten; flaches Gelände.

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Fazit & Kontakt

Der Untergrund entscheidet maßgeblich über Belastung, Energieverbrauch und Bewegungskomfort. Ob Asphalt oder Waldboden, Schritt oder Trab, Leine oder Freilauf – jeder Faktor kann den Unterschied machen zwischen Training und Überlastung.

Kleiner Hinweis: Diese Inhalte ersetzen keine Diagnostik. Bei plötzlicher Lahmheit oder starken Rückenschmerzen bitte tierärztlich abklären lassen.

Quellen und weiterführende Literatur

Fischer, M. S. et al. (2011): Hunde in Bewegung. Verlag Eugen Ulmer, Stuttgart.
Grundlagenstudie zur Kinematik des Hundes an der Universität Jena. Über 300 Hunde verschiedener Rassen wurden mit Röntgenkinematografie und Hochgeschwindigkeitskameras untersucht. Die Arbeit gilt bis heute als Standardreferenz für Bewegungsanalysen beim Hund.
Hayati, S. et al. (2019): Effects of Surface Compliance on Greyhound Gait Kinetics and Kinematics. In: Comparative Exercise Physiology.
Untersucht, wie sich unterschiedliche Untergründe (weich, mittelhart, hart) auf Bewegungsenergie, Gelenkkräfte und Laufökonomie von Windhunden auswirken.
Hans, E. et al. (2014): Variability of Ground Reaction Forces in Trotting Dogs. In: Veterinary and Comparative Orthopaedics and Traumatology 27(6): 453–458.
Belegt, dass selbst bei konstantem Tempo die Verteilung der Bodenreaktionskräfte zwischen den Läufen variiert – abhängig von Untergrund, Haltung und individueller Anatomie.
Pálya, L. et al. (2022): Influence of Different Leash Attachments on Shoulder Motion and Gait Parameters in Dogs. In: Frontiers in Veterinary Science.
Untersucht, wie verschiedene Leinen- und Geschirrformen die Beweglichkeit der Schultergelenke und den Bewegungsablauf beeinflussen.
Knights, C. B. et al. (2021): Kinematic Evaluation of Common Dog Harness Types. In: Veterinary Record Open.
Kinematische Analyse der Bewegungsfreiheit von Hunden mit unterschiedlichen Geschirrtypen. Ergebnis: Je nach Bauweise kann die Schulterbewegung deutlich eingeschränkt werden.
Frontiers in Veterinary Science (2024): Themenreihe Agility Performance & Ground Surfaces.
Vergleichsstudien zwischen Naturboden, Kunstrasen und Gummimatten im Hundesport. Zeigt, wie Bodenhärte und Elastizität die Trittlänge, Muskelarbeit und das Verletzungsrisiko verändern.
University of Chicago / ScienceDaily (2020): Energy Efficiency and Stability in Quadruped Locomotion.
Überblicksarbeit zur Energieoptimierung in der Lokomotion von Vierbeinern. Erklärt, wie sich Gangarten, Federmechanismen und Bodeneigenschaften auf Energieverbrauch und Stabilität auswirken.
Myers, T. (2021): Anatomy Trains for Canines – Fascial Integration in Movement and Therapy. Elsevier Verlag.
Überträgt die Konzepte der myofaszialen Zuglinien auf Hunde und beschreibt, wie Faszien, Sehnen und Muskeln in Bewegungsabläufe integriert sind – wichtige Grundlage für faszienorientierte Hundephysiotherapie.
Stecco, C. (2019): Functional Atlas of the Human Fascial System. Elsevier Verlag.
Detaillierte Darstellung der menschlichen Faszienarchitektur mit Übertragbarkeit auf Tiermodelle. Beschreibt elastische Eigenschaften von Bindegewebe und deren Bedeutung für Energieaufnahme und -rückgabe in der Bewegung.

Hinweis: Diese Quellen dienen der fachlichen Vertiefung und ersetzen keine klinische Untersuchung oder tierärztliche Beratung.

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